Jess Jochimsen
Draußen vom Walde komm ich her
Draußen vom Walde komm ich her
Ja, ich gestehe: Ich war einmal der Nikolaus. Ist gar nicht so lange her, auch war ich nicht mehr wirklich jung, aber ich brauchte das Geld. Also bewarb ich mich bei einer "Firma für Events aller Art" mit obligatorisch angelsächsischem Namen, und die Sache ließ sich gleich gut an. "Herr Jess Jochimsen", hieß es in meinem Arbeitsvertrag, "ist hiermit gebucht als Event-Performer vom 5. bis 7. Dezember. Coaching: 4.12., 16 Uhr."
Wow! Bingo! New Economy! Hey - ich war kein old school Nikolaus, sondern ein fancy Event-Performer, und als solcher würde ich eine Schweinekohle machen.
Wow! Bingo! New Economy! Hey - ich war kein old school Nikolaus, sondern ein fancy Event-Performer, und als solcher würde ich eine Schweinekohle machen.
Ich gebe gern zu, dass ich etwas aufgeregt war. Weniger, weil ich mir die Arbeit nicht zugetraut hätte, sondern eher, weil ich als Kind dem Nikolaus nie begegnet bin. Wenn meine Eltern etwas taten, dann taten sie es gründlich. Sie hatten eine schwarze Liste mit unerwünschten Personen des kapitalistischen Brauchtums heidnischen Ursprungs - und der Weihnachtsmann, das Christkind und der Nikolaus war die Top Three auf der Liste. Doch wozu gab es die Schulung!
Bestens gelaunt erschien ich also zu ebendieser - zusammen mit 60 anderen. Ein leicht etiläres Glücksgefühl beschlich mich. Wir waren die Auserwählten, die Nikoläuse der Stadt, junge, eventmäßige hochmotivierte Segensbringer. Und da erschien auch schon unser Performance-Coach.
Er brachte die Verkleidung und schärfte uns ein, immer vorher bei den Eltern anzurufen, um das "mit den Geschenken abzuchecken". Einen Witz machte der Nikolaus-Instructor auch noch: "Was bei den Kids gut kommt, ist ein kleiner Rap! Yeah, ich bin der Nikolaus / und hol gleich meine Rute raus."
Vereinzeltes Gelächter. Na prima, dachte ich, wenn wir so auftreten, rappen die Kinder spontan zurück: "Yo man, vom Walde kommst du her / und ich muss dir sagen: Fuck you, yeah!"
Unser Coach schloss seine Ausführung damit, dass wir uns stadtteilmäßig auzuteilen hätten.
Der Nikolaus-Anwärter neben mir brüllte: "Ohne Knecht Ruprecht gehe ich nicht noch mal in die Vorstadt!"
Ich bereute den Job jetzt schon. Trotzdem werde ich erzählen, wie's lief. Eher peinlich bekleidet und mit einem Haufen Watte im Gesicht - den Bart mussten wir uns aus hygienischen Gründen selber basteln - stapfte ich los. Mein "Performance-Bereich" war ein Edel-Viertel, hohes Intellektuellenaufkommen und lecker Lehrerdichte, wo die Kinder also Lukas und Sarah heißen. Oder gleich so IKEA-Namen tragen, Sören, Bengt... wie die Möbel, auf denen sie gezeugt wurden.
Interessanterweise hieß mein erstes "Zielobjekt" Mario F. und wohnte in der Hildastraße. Von Mama F. instruiert, Mario solle weniger fernsehen und - Altbau bleibt eben Altbau - doch bitte mehr lesen, erschien ich pünktlich. (Das Geschenk war im Treppenhaus hinterlegt, zwei Mandarinen und ein verpacktes Buch, da würde sich der Bub aber freuen.) Ich trat in den Altbau-Flur und Frau F. rief: " Mario, kommst du mal, da ist ein fremder Mann, ich glaube fast, es ist der Nikolaus."
Von irgendwoher brüllte Mario: "Der soll später wiederkommen, ich bin gerade auf Level Acht!"
"Würdest du jetzt bitte den Computer sein lassen", rief Frau F., zu mir sagte sie: "Und Sie, Herr Jochimsen, ziehen bitte die Stiefel aus."
Ich fühlte mich meiner Autorität doch etwas beraubt, als Mario kam. Ich zückte das Buch: "Guck mal, Mario, was dir der Nikolaus mitgebracht hat."
"Wenn er das neue Game nicht dabei hat, kann er sich gleich verpissen", sagte Mario.
Ich sagte: "Aber Mario, hör mal..."
"Sie halten sich da raus", sagte Frau F. "und du, Mario, nimmst jetzt das Buch und freust dich gefälligst."
"Ich soll von Fremden nichts nehmen", heulte Mario.
Nun wurde ich laut: "Wenn du nicht augenblicklich brav bist..."
"Schreien Sie mein Kind nicht an", schrie Frau F.
"Hey - ich bin der Nikolaus!"
"Ja, und ich bin der Weihnachtsmann, du Arschloch", brüllte Mario.
"Freundchen", brüllte ich und war kurz davor, dem Kleinen eine zu schallern. "Freundchen..."
"Trau dich doch, trau dich doch", provozierte das Altbaubalg weiter.
"FREUNDCHEN..." Mir platzte der Kragen. "Deine Mama hat Depressionen, und außerdem bist du adoptiert. Hier - da hast du dein beknacktes Harry-Potter-Blöd-Buch. Und tschüss." Ich ging.
Es war kalt in der Hildastraße - so ohne Stiefel.
Bestens gelaunt erschien ich also zu ebendieser - zusammen mit 60 anderen. Ein leicht etiläres Glücksgefühl beschlich mich. Wir waren die Auserwählten, die Nikoläuse der Stadt, junge, eventmäßige hochmotivierte Segensbringer. Und da erschien auch schon unser Performance-Coach.
Er brachte die Verkleidung und schärfte uns ein, immer vorher bei den Eltern anzurufen, um das "mit den Geschenken abzuchecken". Einen Witz machte der Nikolaus-Instructor auch noch: "Was bei den Kids gut kommt, ist ein kleiner Rap! Yeah, ich bin der Nikolaus / und hol gleich meine Rute raus."
Vereinzeltes Gelächter. Na prima, dachte ich, wenn wir so auftreten, rappen die Kinder spontan zurück: "Yo man, vom Walde kommst du her / und ich muss dir sagen: Fuck you, yeah!"
Unser Coach schloss seine Ausführung damit, dass wir uns stadtteilmäßig auzuteilen hätten.
Der Nikolaus-Anwärter neben mir brüllte: "Ohne Knecht Ruprecht gehe ich nicht noch mal in die Vorstadt!"
Ich bereute den Job jetzt schon. Trotzdem werde ich erzählen, wie's lief. Eher peinlich bekleidet und mit einem Haufen Watte im Gesicht - den Bart mussten wir uns aus hygienischen Gründen selber basteln - stapfte ich los. Mein "Performance-Bereich" war ein Edel-Viertel, hohes Intellektuellenaufkommen und lecker Lehrerdichte, wo die Kinder also Lukas und Sarah heißen. Oder gleich so IKEA-Namen tragen, Sören, Bengt... wie die Möbel, auf denen sie gezeugt wurden.
Interessanterweise hieß mein erstes "Zielobjekt" Mario F. und wohnte in der Hildastraße. Von Mama F. instruiert, Mario solle weniger fernsehen und - Altbau bleibt eben Altbau - doch bitte mehr lesen, erschien ich pünktlich. (Das Geschenk war im Treppenhaus hinterlegt, zwei Mandarinen und ein verpacktes Buch, da würde sich der Bub aber freuen.) Ich trat in den Altbau-Flur und Frau F. rief: " Mario, kommst du mal, da ist ein fremder Mann, ich glaube fast, es ist der Nikolaus."
Von irgendwoher brüllte Mario: "Der soll später wiederkommen, ich bin gerade auf Level Acht!"
"Würdest du jetzt bitte den Computer sein lassen", rief Frau F., zu mir sagte sie: "Und Sie, Herr Jochimsen, ziehen bitte die Stiefel aus."
Ich fühlte mich meiner Autorität doch etwas beraubt, als Mario kam. Ich zückte das Buch: "Guck mal, Mario, was dir der Nikolaus mitgebracht hat."
"Wenn er das neue Game nicht dabei hat, kann er sich gleich verpissen", sagte Mario.
Ich sagte: "Aber Mario, hör mal..."
"Sie halten sich da raus", sagte Frau F. "und du, Mario, nimmst jetzt das Buch und freust dich gefälligst."
"Ich soll von Fremden nichts nehmen", heulte Mario.
Nun wurde ich laut: "Wenn du nicht augenblicklich brav bist..."
"Schreien Sie mein Kind nicht an", schrie Frau F.
"Hey - ich bin der Nikolaus!"
"Ja, und ich bin der Weihnachtsmann, du Arschloch", brüllte Mario.
"Freundchen", brüllte ich und war kurz davor, dem Kleinen eine zu schallern. "Freundchen..."
"Trau dich doch, trau dich doch", provozierte das Altbaubalg weiter.
"FREUNDCHEN..." Mir platzte der Kragen. "Deine Mama hat Depressionen, und außerdem bist du adoptiert. Hier - da hast du dein beknacktes Harry-Potter-Blöd-Buch. Und tschüss." Ich ging.
Es war kalt in der Hildastraße - so ohne Stiefel.