02.12.2011

Türchen 2 - Geschichte

Andreas Sticklies
Es gibt keinen Weihnachtsmann

Es war vor genau 9 Jahren, naja fast. Auf jeden Fall hatte ich die Sache mit dem Weihnachtsmann seit einiger Zeit durchschaut und konnte diese Schauspielerei nur mit einem müden Lächeln quittieren. Schließlich war ich schon zehn, und da weiß man, wie das Karnickel hüpft.
Traditionell, wie in jedem Jahr, bereiteten wir uns auf die heilige Weihnachtszeit vor. Kekse wurden gebacken, ein Weihnachtsbaum gekauft, Lametta gebügelt und die Christbaumkugeln poliert. Meine Aufgabe war es, Kerzen vorzubrennen, damit sie sich am Baum schneller entzünden ließen. Diese Zündelei lag genau in meinem Interessengebiet. Ich kokelte gerne mit Feuer, wie wahrscheinlich die meisten Kinder in dem Alter.
Der Heilige Abend rückte nah und näher und schließlich war es soweit. Mutter machte Kartoffelsalat, Vater schmückte den Baum und ich schaute im Fernsehen "Wir warten aufs Christkind". Ich wusste genau, was jetzt kam. Vater würde verschwinden, weil er angeblich noch was aus dem Keller holen musste, und Mutter würde darauf achten, dass ich im Wohnzimmer blieb. Dann würde Oldie als Weihnachtsmann verkleidet zur Türe hereinkommen mit einem Sack voller Geschenke und sie mit einem tiefen "HO, HO, HO" unter den Christbaum legen. Anschließend müsste ich wieder ein Gedicht aufsagen. Ich nahm immer das mit den Adventskerzen: "Advent, Advent, ein Lichtlein brennt..." 
Schließlich kämen wieder meine Sünden zur Sprache und von mir der Schwur, mich zu bessern. Da ich nun aber Bescheid wusste, hatte ich mich auch nicht mehr groß an meine Versprechen des vorausgegangenen Jahres gehalten, also nicht weniger als sonst. Habe den Lehrern das Leben schwer gemacht und mich auf die faule Haut gelegt. Hatte mich auch erstmalig in einigen Supermärkten und Kaufhäusern selbst bedient, ohne zu bezahlen. Das Leben war einfach und bequem. Ich spielte mit dem Gedanken, eine Art Verbrecherkarriere zu beginnen, denn es gab ja, meinen neusten Erfahrungen nach, keine höheren Mächte, die mich in der Hölle schmoren lassen konnten oder so. Und wenn man mich erwischen sollte - naja, ich war ja noch minderjährig, was sollte also groß passieren.
Dann war es wieder so weit, die Uhr schlug sechs - aber - etwas schien anders als sonst. Und richtig, diesmal verschwanden "beide" noch mal kurz in den Keller. Ich schaute ihnen nachdenklich hinterher, als ich hinter meinem Rücken ein tiefes "HO, HO, HO" vernahm. Wie vom Blitz getroffen fuhr ich herum.
Da stand der Weihnachtsmann vor mir. Aber wo kam er her? Durch die Wohnungstür waren ja gerade meine Eltern verschwunden und einen anderen Zugang zu unserer kleinen 50m² Wohnung gab es nicht. War er durchs Fenster gekommen?
Er streckte die rechte Hand aus und sein Zeigefinger, der in einem roten Handschuh steckte, deutete auf mich. Dann erhob er ihn und bewegte ihn ein paarmal hin und her. Der kostümierte Mann sagte dabei keinen Ton, und trotzdem fühlte ich mich ertappt und schuldig. Dann trat er hinter die Übergardine. Ich hörte hinter mir die Stimme meines Vaters: "Stefan, wir wissen, dass du es weißt, also werden wir dir auch nichts mehr vorspielen!"
Ich drehte mich zu Tür. Mein Vater stand vor meiner Mutter mit einem roten Kostüm über dem Arm. Ich war noch immer verwirrt und konnte nur ein "Da!" hervorbringen, gleichzeitug zeigte ich auf en Vorhang.
"Was da?", fragte meine Mutter irritiert. Ich schaute wieder zum Fenster - da war nichts. Ich trat näher heran und schob den Stoff beiseite - nichts. Ich schaute in die beiden angrenzenden Zimmer - nichts.
Meine Eltern meinten später, ich hätte eine rege Fantasie, habe vielleicht in einem Sekundenschlaf geträumt oder zu viel ferngesehen. Ich habe einige Monate gebraucht, um selbst zu dieser Einschätzung zu kommen. Sicherheitshalber habe ich seitdem keine krummen Dinger mehr gedreht...

Viel Spaß morgen beim Türchen 3 eures eigenen Kalenders öffnen.


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